Die Archäologen von León staunten nicht schlecht in der Grabeskirche Isidors von Sevilla, als sie dessen Schrein öffneten: Alle vier Wände des kostbaren Silbergehäuses, das die Reliquien des allerchristlichsten spanischen Nationalheiligen einfasste, dem sich die wichtigste Enzyklopädie des Mittelalters verdankt, waren mit einem prächtigen Seidenstoff samt eingewebten zoomorphen Mustern ausgeschlagen. Die zu sehenden Tiere aber, wie auch die Ornamente, waren eindeutig arabischen Ursprungs.
Der „Maurentöter“ Isidor, gebettet auf eine Unterlage des Erzfeindes? Besagte nicht die seit Jahrhunderten in León überlieferte Legende, die sterblichen Überreste des Heiligen seien aus Sevilla im muslimischen Teil Spaniens für ein Heidengeld ausgelöst worden? Es sollte noch verwirrender werden. Denn der muslimische Stoff wies keinerlei Benutzungsspuren auf, war mithin nicht recycelt oder pragmatisch als Transportbeutel benutzt worden. Im Gegenteil, man hatte ihn 1063 bei der Überführung der Reliquien eigens für eine hohe Summe „beim Feind“, der damals achtzig Prozent der Iberischen Halbinsel dominierte, für den Heiligen herstellen lassen. Für manch älteren Spanier brach mit dieser Graböffnung eine Welt klar gefügter Abgrenzungen gegen die „Moros“ zusammen.
Arabische Weber blieben auch nach der Reconquista
Die meisten nun in der Stiftung Abegg bei Bern ausgestellten Stoffe aus Spanien reichen nicht weiter zurück als die Isidor-Seide aus dem elften Jahrhundert, obschon die frühesten bekannten hispano-muslimischen Textilien aus dem achten Jahrhundert stammen. Mit der Eroberung von Granada im Jahr 1492 könnte das Thema der Schau „Arabische Weber – Christliche Könige. Mittelalterliche Textilien aus Spanien“ ein offizielles Enddatum besitzen. Ausstellungstitel wie Zeitspanne jedoch fransen nach mehreren Seiten hin aus. Denn keinesfalls wurden im Kolumbus-Jahr alle arabischen Weber aus Spanien vertrieben. Vielmehr arbeiteten etliche Werkstätten für die neuen christlichen Herrschaften munter weiter, unter anderem, wie die Schau an dreidimensional wirkenden Seidenstoffen mit dem Andalusien-Urlaubern wohlvertrauten „Netzgitterdekor“ zeigt, für die ebenfalls von den Christen übernommene Alhambra von Granada.
Nur die Anfänge der Blüte „orientalischer“ Webkünste auf spanischem Boden scheinen klar: Von 711 an erobern über die Meerenge bei Gibraltar (übersetzt „Felsen al-Tariks“) vermeintliche Araber große Teile der Iberischen Halbinsel, lediglich ein kleiner Teil im Norden und Nordosten bleibt als Königreich Asturien respektive karolingisch-fränkisches Barcelona christlich. Und auch hier ist es komplizierter: Genau genommen sind es keine Araber, sondern Berberstämme Nordafrikas mit hochentwickelter Webkunst sowie omayyadische Eroberer aus dem heutigen Syrien, welche die byzantinische Kunstfertigkeit in der Seidenverarbeitung übernahmen und fortführten.
Das ist nicht uninteressant für das vorletzte Kapitel der Ausstellung, die sich nach einem Don-Quichote-Bild Daumiers am Eingang in vier Windmühlenflügel auffächert. Im „Alhambra-Flügel“ nun zeigt sich, dass in diesem Palast neben den vertrauten stucküberzuckerten Wänden, geschnitzten Holzdecken sowie bunten Wandkacheln und Bodenfliesen noch ein weiteres Gestaltungselement eine raumbestimmende Rolle einnahm: Prachtvolle Vorhänge wurden vom Hofzeremoniell in einem raffinierten Spiel aus Ent- und Verhüllen der Herrscher eingesetzt. Mit den blickdichten Wänden aus Seide konnten die Räume zudem flexibel unterteilt werden. Dabei stellte sich ein augentäuscherischer Effekt ein, weil die mobilen Raumteiler aus Seide dasselbe geometrische Dekor aufweisen wie die mit keramischen Azulejos bedeckten Wände.
Die Tradition dieser Technik aber brachten die Berberstämme aus ihren erstaunlich geräumigen Wüstenzelten mit auf die Iberische Halbinsel. Anders als bei den antiken Mosaikböden, bei denen die direkte Umsetzung textiler Teppichmuster in Stein bei Archäologen umstritten ist, besteht hier kein Zweifel: Die gewebten Muster, die in der Schau zu sehen sind, gingen den stuckierten, geschnitzten oder modellierten als Anregung zeitlich weit voraus. Im Gegensatz zu Stuck und Holz sind Stoffe oft gut datierbar über die eingewebten Namensinschriften von Herrschern – wenn sie nicht lügen, wie etwa das Grabgewand für den heiligen Petrus von Osma, das frech in seiner Inschrift behauptet: „Ich bin für San Pedro de Osma in Bagdad gewebt“, nur um das Air von Tausendundeiner Nacht zu gewinnen.
July 04, 2020 at 03:12AM
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Hier spricht das Gewebe - F.A.Z. - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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